Es sollte eine lange Japanreise werden. Insgesamt fünf Wochen. Die ersten beiden Wochen ging es zu diversen Koifarmen zur Koi-Ernte. Die restlichen drei Wochen wurden aufgrund einer Einladung auf einer der führenden Koifarmen Japans verbracht: der Dainichi Koi Farm. Einer solchen Aufforderung kommt man gerne nach.
Fünf Wochen Japan bedeutete dieses Mal, drei Jahreszeiten zu durchleben. Bei meiner Anreise am 10. Oktober hatten wir in Tokyo 32 °C Mittagstemperatur. In Niigata, meinem eigentlichen Ziel, war es unwesentlich kühler. In der ersten Nacht musste ich mich mit der Klimaanlage beschäftigen – und das war nicht einfach –, weil mein Zimmer einfach nicht abkühlen wollte. Die zweite Nacht war da schon viel entspannter.
In den ersten Tagen ging es mit der Torazo Koi Farm zum Abfischen an die Mudponds. Tsuyoshi beschwerte sich immer wieder über die hohen Temperaturen und dass es ihm leid tut, die Fische jetzt schon »ernten« zu müssen. Zudem waren die Koi bei Wassertemperaturen um die 24 °C sehr lebhaft und nur schwer zu händeln. Aber die Händler aus aller Welt standen bereits auf den Farmen und kauften, kaum dass die Tiere in den Betonbecken untergebracht waren, die besten Fische sofort auf. Tsuyoshi hatte bereits Ende Oktober alle seine Teiche abgefischt. Auch ein Teich mit 46 Nisai Tancho war darunter. Jeden Abend waren wir damit beschäftigt, die verkauften Tiere aus der Anlage zu fischen und in einem weiteren Gewächshaus unterzubringen. Über 80 % seiner Ernte war bis Ende Oktober verkauft. Nur die ungeliebten »Männer« und einige weniger gute Weibchen waren jetzt noch zu haben.
Während an der Westküste innerhalb von fünf Wochen drei Taifune über Japans Ostküste hinwegfegten, hatten wir an der Westküste »nur« mit Dauerregen zu kämpfen. Dieses Regenwetter führte auch zu einer raschen Abkühlung. Die wenigen sonnigen Tage dazwischen brachten es zwar noch auf 20 °C, doch die Temperatur fiel unerbittlich und schließlich begann es sogar zu schneien. Die letzten Tage fischten wir bei dichtem Schneetreiben.
Auch den Mudpond, der die weiblichen Zuchttiere beherbergt. Die Wassertemperatur war bereits auf 3 °C gefallen. Es zeigte sich, dass Tsuyoshi Recht hatte, mit der Ernte so früh zu beginnen. Die Zeit des japanischen »Indian Summer« beschränkte sich auf lediglich 10 Tage. In dieser kurzen Zeit färbten sich die Blätter der Laubbäume intensiv rot und gelb, besonders die Ahornbäume stachen mit ihrem feuerroten Laub deutlich hervor. Der erste Schnee fiel auf frisch ausgetriebene Farne und Gräser, die intensiv hellgrün, jung und schön im Schnee versanken.
Am 24. Oktober war es dann so weit. Der Umzug vom Hotel ins Arbeiterheim der Dainichi Koi Farm stand an. Mein neues Zuhause für die nächsten drei Wochen war ein quadratisches Zimmer, vier mal vier Meter, ausgelegt mit den für Japan typischen Tatamimatten und einem geräumigen Schrank. Schlafen musste ich auf dem Boden – lediglich eine dünne Matratze und ein mit Reis gefülltes Kopfkissen waren meine Unterlage. Na gut, ich wusste vorher, was da auf mich zukam. Dusche und WC waren auf dem Flur sowie eine kleine Küchenzeile, ein Wäschegestell und eine Waschmaschine. Diese Einrichtungen teilte ich mir mit vier weiteren Mitarbeitern der Farm.
Die Farm und die fest angestellten Mitarbeiter kannte ich bereits aus dem Vorjahr. Neu waren zwei Mitarbeiter aus Thailand. Wie sich herausstellte, zwei Angestellte von Mr. Nuttawut, den ich von einer Thailandreise kannte, die ich im Frühjahr 2010 zusammen mit Dainichi unternommen hatte. Mr. Nuttawut hatte seine beiden Mitarbeiter für die Ernte der Dainichi Koi Farm nach Niigata beordert und diese Dainichi zur Verfügung gestellt. Beide waren fanatische Koi Liebhaber. Einer der beiden hatte bei meinem Freund Tongdie sein Wissen über Koi erlernt. Tongdie hatte mich in meiner Anfangszeit in Japan oft begleitet. Anfang der 90er Jahre bereisten wir zusammen nicht nur Niigata sondern auch Isawa und Hiroshima. Mr. Nuttawut kam auch für einen (!) Tag nach Japan, um bei der Ernte von zwei seiner Gosai anwesend zu sein. Als er eintraf, hatten wir den Teich bereits mit dem Schleppnetz abgefischt. Er erreichte uns genau zu dem Zeitpunkt, als sein Sanke vom Mudpond in den Baby Pool gehoben wurde. Sofort wurden ihm Wathosen übergestreift, dann wurde er im Teich positioniert, der Sanke angereicht, eine Fotostrecke geschossen und nach einem kurzem »hello« und »how are you« saß er direkt wieder im Flieger zurück nach Thailand. Sein Sanke hat sich übrigens bestens entwickelt. Mit einem sehr guten Längenwachstum und kräftigem Körper. Im kommenden Frühjahr soll dieser Koi auf der Shinkokai ausgestellt werden.
Die verschiedenen »Anbaugebiete« der Dainichi Koi Farm kannte ich bereits: Muikaiichi, Tamukiyama, Muriyama, Chouetsu oder Hansuke. Die großen Chouetsu Mudponds kannte ich allerdings nur vom Hörensagen. Diese Mal hatte ich das Vergnügen, bei allen vier großen Mudponds, die in Talsperren an der Seeseite Niigatas liegen, beim Abfischen dabei zu sein. Jeden Morgen führte der Weg die Küste entlang – zwei Stunden lang. Aber nur ab und an konnte man die Japanische See sehen. Die Teiche waren bereits so weit abgelassen, dass sofort mit dem Abfischen begonnen werden konnte. Zum Ablassen der Teiche waren im Vorfeld mehrere Mitarbeiter damit beschäftigt, die gewaltigen Schieber der Teiche Klappe für Klappe zu öffnen. Einige der Teiche brauchen mehrere Wochen, um den angestrebten Mindestwasserstand zu erreichen. In den letzten Nächten vor dem Abfischen muss an jedem Teich ein Mitarbeiter Wache halten, damit die Koi im Restwasser nicht von Tieren oder Menschen in Mitleidenschaft gezogen oder geraubt werden.
Die Teiche waren bei einer Flächenausdehnung von bis zu drei Hektar mit lediglich 130 dreijährigen Koi besetzt. Diese Anzahl die zwanzig Meter lange, im 45 Grad Winkel angestellte Böschung bzw. Stauwand hochzutragen, ist für alle Beteiligten ein richtiger Kraftakt. Und erst nachdem alle Koi verladen waren, wurde eine Mittagspause eingelegt. Anschließend stand die zweistündige Rückfahrt an. Kaum angekommen, wurden die Koi umgehend abgeladen und abermals auf ihr Geschlecht geprüft. Die männlichen Koi wurden sofort aussortiert. Eigentlich sollen bei den dreijährigen Tieren keine »Männer« mit im Teich sein. Das Verletzungsrisiko der weiblichen Tiere beim wilden Ablaichen im Naturteich wäre zu gefährlich für die Weibchen. Jedes Weibchen wird an Shigero Mano weitergereicht. Er sortiert die Tiere nach ihrem Wert und oder nach ihren Besitzern. Von jedem Koi existiert ein Bild. Darauf stehen die Größe zum Zeitpunkt des Aussetzens in die Mudponds sowie Angaben zu Elterntieren und Blutlinie.
Obwohl ich schon seit Jahren mit der Familie Mano befreundet bin, war der Kontakt noch nie so intensiv. Frühstück, Mittagessen und Abendmahl fanden immer im Kreise der Familie statt. Auch der heute dreijährige »Thronfolger«, ein etwas schüchterner, jedoch sehr liebenswerter Junge, »taute« mit der Zeit auf. Geholfen hat sicherlich das kleine Bilderbuch, das ich ihm geschenkt hatte. Während er mir erklärte wie das jeweils Gezeigte auf Japanisch heißt, antwortete ich ihm in Deutsch und Englisch.
Ein weiteres Highlight war die Ernte des Dainichi »No. 1« Teiches, dem Rockutaboo. Dieser liegt auf der Spitze des Muikaiichi und beherbergt die größten und schönsten Koi der Farm. Bei dieser Ernte war auch Futoshi Mano, der Inhaber der Farm, selbst zugegen. Eine unglaubliche Qualität an Kohaku und Showa wurde hier geerntet. Nach einem kurzen prüfenden Blick wurden die Tiere auf die neuen, großen Showteiche im ebenfalls neuen Fischhaus verteilt.
Festgehalten wurden die drei Wochen bei Dainichi auf Video. In einer Art Videotagebuch kann jeder Interessierte Tag für Tag auf facebook nachverfolgen (einfach mit mir anfreunden). Dort ist auch ein Großteil Koi der Farm zu sehen.